Eine Mostviertler Landpartie zu Kunst & Natur

Die Entstehung dieses Portraits der Bildhauers Miguel Horn von Hans Bogenreiter ist wieder mal einem Zufall geschuldet. 

Die rosarote Zeitung wollte ich schon auf die Seite legen, als mir im Kulturteil ein Artikel mit dem Reizwort „Mostviertel“ ins Auge stach, zumal ich in diese Region hineingeboren wurde. Dann machte es nochmals Klick als ich erkannte, dass der Vater der vorgestellten aufstrebenden Sängerin Sigrid Horn, ein guter Bekannter von mir ist, den ich aber vor über 20 Jahren doch wieder mehr oder weniger aus den Augen verloren hatte. Unser Kennenlernen gründet sich allerdings auf sehr tragische Ereignisse Mitte der 1990er Jahre: Damals arbeitete ich bei der Menschenrechtsorganisation „Gesellschaft für bedrohte Völker-Österreich“ und wir versuchten die Zerstörung des Nigerdeltas in Nigeria durch exzessive Ölförderung auch in der österreichischen Öffentlichkeit bekanntzumachen, da der Hauptverantwortliche für das Umweltdesaster, der Ölkonzern Shell, ein Global Player ist. Wir schafften es sogar von Spitzenmanagern von Shell empfangen zu werden, die aber ihre Hände in Unschuld wuschen und die Verantwortung für die Hinrichtung der Galionsfigur des Widerstandes Ken Saro Wiwa und acht Mitstreitern auf das nigerianische Abacha-Regime abwälzten (siehe mehr im Anhang).

Von unserer Kampagne hatte Miguel Horn erfahren und nahm mit uns Kontakt auf. Miguel ließ sich von diesem Verbrechen an Mensch und Umwelt zu einer Installation inspirieren, die 1997 in der säkularisierten Kirche St. Peter in der Sperr in Wr. Neustadt gezeigt wurde. Zwei Jahre später unterstützte ich Miguel Horn mit Informationen für den von ihm geschaffenen Skulpturenpark „Platz der vergessenen Völker“ in Neuhofen an der Ybbs.

Im Sommer 2019 war es so weit: An einem heißen Augusttag, der im Laufe des Tages etwas gewittrig wurde, besuchte ich Miguel Horn mit der achtjährigen Sunshine, die in Österreich geboren, afrikanische Wurzeln hat. In Amstetten holte uns Miguel vom Bahnhof ab und dann machten wir uns mit seinem Auto auf dem Weg zu ausgesuchten Orten im Most- und Mühlviertel, wo Kunstwerke von Miguel öfters weit über das Land hinweg zu sehen sind. Natürlich kommt dabei auch die Donau ins Spiel, die beide Viertel trennt und als Transportweg und identitätsstiftender Fluss wieder verbindet.

Miguels Tochter hat in ihrem so berührenden Lied „Woiza“ und Video dem Strom eine andere, endgültige Bedeutung abgerungen: „Sog i bin weg…und i waas, i kumm nie wieda zruck.“ Obwohl ich rund 30 Kilometer von der Donau entfernt auswuchs, gehört die lakonische Bemerkung „Sie ist in die Donau gegangen“ zu meinen ersten Kindheitserinnerungen. Psychologische Unterstützung für verzweifelte Menschen war damals mehr oder weniger nicht bekannt.

Unser erstes Ziel: Die Gobelwarte der ÖTK-Sektion Strudengau bietet auf einer Seehöhe von 484 Metern herrliche Rundblicke. Im Norden auf das Hügelland des Mühlviertels, im Süden auf die Ostalpen. Leider ist an diesem Tag etwas diesig und so reicht der Blick nicht in die Alpen, sondern nur ins umliegende Bauernland und hinunter auf die Stadt Grein und die Donau.

Neben der höheren Warte hat Miguel Horn auf dem eigentlichen Gipfel, der aus einem mächtigen Findling besteht, das Thema Burgen und deren BewohnerInnen abgehandelt. By the way, aber heute nicht auf unserem Weg: In der Stadt Grein sind in der Galerie am Kalvarienberg in Granit gemeißelte Nachrichten zu sehen. Miguel ließ sich dabei von, ebenfalls in Granit, hinterlassenen Botschaften (Petroglyphen) vorchristlicher Kulturen inspirieren. Nachdem das Fischrestaurant am Ufer der Donau Dienstag Ruhetag hatte, aßen wir zu Mittag in Waldhausen und besuchten danach einen Badesee, der trotz sehr warmem Wetter ziemlich verwaist wirkte. Geschäftigkeit herrschte nur beim Aufbau eines großen Zeltes am Ufer. Miguel und ich hatten denselben Gedanken: Hier wird demnächst ein „Fest des Huhnes“ (Kultfilm von Walter Wippersberg) stattfinden.

Als wir die Serpentinen nach Gloxwald – eine kleine Ortschaft, die zur Gemeinde Waldhausen gehört – hinauffahren, um ein weiteres Werk von Miguel im Rahmen der Freiluft-Galerie „Kunst am Donausteig“ zu besuchen, berichtet mir Miguel, dass er kürzlich im Fernsehen einen Bericht über sündteure Kunstwerke in New York und Hongkong gesehen hatte. Diese hohe, eitle Welt, hinter der stets auch ein Marketingkonzept steht, ist nicht die seine. Er möchte mit seiner Kunst nahe an den Menschen einer Region bleiben, sie auch möglichst in den Prozess der Entstehung einbeziehen. Für mich ist die Fahrt auch eine, in eine längst vergangene Zeit: Vor ca. 40 Jahren fuhr ich mit unserer Fußballmannschaft hier herauf, niemand konnte sich vorstellen, dass in dieser bergigen und ziemlich dicht bewaldeten Landschaft ein halbwegs bespielbarer Fußballplatz vorhanden sein könnte. Da kamen wir – wohl wieder mal aufgepeitscht voller motivierender Vorurteile „die Holzhackerbuam hineinzuhauen“, sprich hoch zu besiegen1) – aus dem Staunen nicht heraus: Ein wunderbarer, ebener Platz mit einem traumhaften Rasen und auf der Bergseite ein Schatten spendender Wald wartete auf uns. Und das Staunen wiederholte sich: Das Spielfeld weist nach wie vor, im Gegensatz zu mir, keinerlei Alterserscheinungen auf.

Was wir damals auch nicht wussten, weil wir leider nur das Match im Kopf hatten: Der Ursprung der Arbeitersiedlung Gloxwald im 19. Jahrhundert beruht nicht auf Holz, sondern auf den Granitabbau.

Als wir bei einem Bauernhof einparken, deutet in dieser bergigen Landschaft, durchaus ähnlich meiner Mostviertler Heimatgemeinde, nichts darauf hin, dass wir am Weg über ein weites Feld und eine leichte Anhöhe auf einen Absturz hinsteuern. Das Naturdenkmal Predigtstuhl, eine natürliche Felskanzel im Weinsberger Granit, gipfelt auf 520 Seehöhe und fällt von dort aus steile fast 300 Meter zur Donau hinunter. Seit 2010 führt hier die Strudengauer Etappe des Donausteigs vorbei.

Auf diesem schönen Aussichtsplatz thronen seit dem Herbst 2016 Miguel Horns Felsenreiter, die auf eine Donausage Bezug nehmen: Ein Raubritter stürzt, von Kaiser Maximilians Truppen in die Enge getrieben, mitsamt seinem Pferd in den Abgrund, während Skylla und Charybdis, ursprünglich vielköpfige Meeresungeheuer aus der griechischen Mythologie, nun in der Donau nach allen Seiten beißen und drängen.

Der Donaufürst Poseidon und die Donau-Nymphe mahnen zur Besinnung und der Graue Mönch setzt ein Zeichen des Friedens. Von unten her beeindruckt der Aufbau des Predigtstuhls, ein Vergleich mit der gleichnamigen mächtigen Felswand im Wilden Kaiser in Tirol würde trotzdem ziemlich hinken. Als wir zum Bauernhof zurückkommen, sehen wir in einem großzügigen Gehege eine Rarität: Hühner mit stolzem Hahn. Zu unserer Überraschung sehen wir auch ein Ei am Boden liegen, im Nachhinein meint Google (nicht der Gockel), dass ein Huhn es ausbrüten möchte.

Gegenüber sind Schafe auf der Weide, sie kommen neugierig heran, als Sunshine ihnen eine Hand entgegenstreckt und etwas frisches Gras darreicht. Sie ist jedoch sehr erstaunt, als sie bemerkt, dass auch Schafe in Streit geraten können.

Ich frage Miguel, wie der Bauer das Kunstwerk angenommen hat, ob er sich eventuell gestört fühlt. Nein, es gefällt ihm und er hat sogar aus eigenem Antrieb den Parkplatz beim Hof für BesucherInnen vergrößert, berichtet er. Die Beispiele für Kunst im öffentlichen Raum, die mit den Kommunen abgestimmt oder von ihnen in Auftrag gegeben wurden, kommen im Großen und Ganzen gut an und fördern möglicherweise auch den Tourismus in der Region. Sie zeigen jedoch nur eine Seite von Miguels Schaffen, in anderen Werken prangert er Fehlentwicklungen, die Zerstörung von Natur und Kulturen an oder ruft historische Tatsachen in Erinnerung, die gerne unter den Teppich gekehrt werden würden. Diese Facetten haben bisweilen zu heftigem Widerspruch geführt. Auf der Fahrt nach Neuhofen frage ich Miguel Horn über die Hintergründe von heftigen Protesten des Kameradschaftsbundes (ÖKB) anlässlich einer Ausstellung in der Gemeinde Blindenmarkt im Jahr 1997.

Der Obmann der ÖKB-Ortsgruppe hätte sich, so erzählt Miguel, über eine Figur aus Eisen, die allgemein die Schrecken eines Krieges anklagt, fürchterlich aufgeregt. Schließlich erreichte der Obmann die Demontage der Figur, weil er gedroht hatte, der Kameradschaftsbund würde in Sichtweite dieser Figur keinen Kranz am Kriegerdenkmal niederlegen. Nun hat sie im Garten der Familie Horn einen Platz gefunden (siehe Bildmitte). Miguel erzählt dies ungerührt und ohne Groll, ihm ist bewusst, dass er mit kritischen Werken nicht alle Menschen ansprechen kann. Jedenfalls befinden wir uns nun im besonders Kernland des Mostviertels, dessen Produkt von den zahlreichen Birnbäumen Namensgeber war. Unweigerlich drängt sich die Schönheit und die Fruchtbarkeit der Landschaft auf. Auch hier bin ich öfters über den Pass des Hochkogels von meinem dahinterliegenden Heimatort in die Gegend gekommen, zu Festen, zu Fußballspielen oder ich musste meinen Vater zu einem Viehhandel auf einen Bauernhof chauffieren.

Gewitterstimmung am Platz der vergessenen Völker

 

Ein Gewitter zieht auf, dunkle Wolken und zwischendurch nun sehr intensiv wirkende Sonnenstrahlen verschaffen dem Platz der vergessenen Völker ein kontrastreiches, stimmungsvolles Ambiente. Ich erinnere mich an die Eröffnung, wo sich SchülerInnen ebenfalls sehr bunt und mit sehr kreativen Verkleidungen in andere Kulturen hineinversetzt hatten, was mein damals zweijähriger Sohn mit großen Augen beobachtete.

Beeindruckt hatte mich dabei auch die Eröffnungsrede des damaligen niederösterreichischen Landesrates Wolfgang Sobotka, der frei von der Leber weg sehr einfühlsam auf das Thema einging – so eine große Empathie ist mir in dessen späterer politischen Laufbahn eigentlich nicht mehr aufgefallen. Miguel erzählt, dass der Platz durchaus Anklang gefunden hat, einmal war ein australischer Aborigine zu Gast, der hocherfreut den Namen seiner bedrohten ethnischen Gruppe entdeckte. Aber es gab auch kritische Stimmen, für eine solche verwandelte sich der stets so ruhig und besonnen wirkende Künstler in einen Grantler und Nörgler, der sich über die in rostenden Eisenplatten eingravierten historischen Ereignisse ereifert: Das wäre ja alles nicht wahr, kompletter Unsinn und Miguel ließ eine Schimpftirade vom Stapel, die Sunshine und auch mich, verblüffte. Ich bat Miguel, diesen mit so großem Furor dargebrachten Grant für eine Videoaufnahme zu wiederholen, was er so vollbrachte, als hätte er eine Reset-Taste eingebaut. Den Besucher hatte am meisten gestört, dass Miguel der so gern erzählten Genesis von Österreich2), die hier angeblich so rein und unschuldig begann, auf die Vertreibung von Slawen fußte, also auf „ethnischer Säuberung“. Auch mir war dies nicht bekannt.

Seinen Kritiker hat er übrigens nicht zur Rede gestellt, Miguel meinte, das hätte nichts gebracht, es war offenkundig, dass dieser Mann in so einem Zustand von seiner Einstellung keinen Millimeter abgerückt wäre.

Haus & Garten voller Kunst

Zu guter Letzt kehren wir beim Haus der Familie Horn ein, wo alle ausgeflogen sind; die Kinder schon lange außer Haus und seine Frau Ilse weilte auf einem Seminar in Wien. Schon am Garagenplatz begrüßen uns jedoch große Skulpturen und im Garten sind überall Installationen und Skulpturen aus Eisen und Holz zu sehen, dazwischen suchen auf der grünen Wiese Hühner nach Futter. Ich hätte sie den Nachbarn zugeordnet, nein sagt Miguel, es sind die ihren. Die Gewitterwolken sind uns hierher gefolgt, aber plötzlich sticht die Sonne durch und taucht alles wie bestellt in ein warmes Licht, ideal zum Fotografieren. Miguel zeigt uns dann im Obergeschoß sein Atelier, voll mit seinen Werken. Das Prunkstück ist für mich eine riesige, gewundene Figur, herausgearbeitet aus einem dicken Holzstamm. Dabei setzte sich Miguel mit der atomaren Verwüstung des Bikini-Atolls auseinander.

Die Inselgruppe im Pazifischen Ozean, nach der der zweiteilige Badeanzug benannt wurde, diente den USA in den 1940er und 1950er Jahren als Schauplatz zahlreicher Kernwaffentests. Die meisten Inseln sind wegen der hohen Strahlung bis heute unbewohnbar.

Als wir auf der Terrasse gemütlich zusammensitzen und wir uns weiter unterhalten und weitere Fragen stellen, möchte Sunshine spontan auch etwas „künsteln“, Miguel gibt ihr etwas frischen Ton und im Nu formt Sunshine ein Gefäß.

Fragen & Antworten

HB: Deine Lebensgeschichte mit so vielen Stationen in sehr unterschiedlichen Ländern in Europa, Nord- und Südamerika ist mehr als erstaunlich. Welche persönlichen und künstlerischen Erfahrungen in diesen Orten haben Dich nachhaltig geprägt und gibt es einen, der da besonders hervorsticht?

MH: Hervorheben möchte ich eigentlich kein Land, es ist die Vielfalt, die mich immer in den Bann gezogen hat. Es war auch kein künstlerischer Impuls dahinter zum Globetrotter zu werden, sondern einfach die Lust an Neuem, Unbekannten und mein Interesse an den Menschen, Kulturen und Skulpturen. Neben Deutsch und Spanisch, die für mich praktisch Mutter- und Vatersprache zugleich sind, spreche ich auch Englisch, Französisch und auch etwas Italienisch. Dabei konnte ich immer auf die Unterstützung der Menschen vor Ort vertrauen, die mir geholfen haben, die jeweilige Sprache zu lernen. Mich ärgert immer, wenn nun in Österreich mit so großer Vehemenz von MigrantInnen gefordert wird, Deutsch zu lernen, aber die wenigsten bereit sind ihnen dabei zu helfen.

Deine frühe Kindheit hast Du in der südchilenischen Stadt Osorno verbracht. Ich habe beim Wort Osorno sofort den erhabenen, schneeweißen Vulkankegel vor Augen. Strahlt dieser Berg nicht nur wegen der Schönheit, sondern auch wegen der latenten Ausbruchsgefahr ein besonderes Lebensgefühl aus?

Der Osorno wird einfach als sehr schöner und markanter Berg gesehen, die Ausbruchsgefahr ist unter den Einheimischen kein Thema oder sie wird verdrängt. Der landschaftlich sehr schöne, aber auch karge, Süden Chiles vermittelt aber ein Gefühl – mit den schier unüberwindlichen Anden im Rücken – abgeschieden am Ende der Welt zu sein.

Wie hast Du und Deine Familie als „Zuagroaste“ die ersten Jahre in der neuen Heimat Mostviertel erlebt und warum seid ihr ausgerechnet dort sesshaft geworden?

Die Entscheidung für das Mostviertel war mehr oder weniger dem Zufall geschuldet. Ich habe im Zuge eines Kunstprojekts im Südosten Niederösterreichs meine zukünftige Frau kennengelernt. Als sie Ihre Ausbildung zur Hauptschullehrerin beendete, haben wir nach einem, für uns erschwinglichen, Haus gesucht und sind eben in Neuhofen an der Ybbs fündig geworden.

Du besuchst Chile, wo du groß geworden bist, häufig, erst kürzlich warst du dort wieder auf Besuch. Wenn zwei Mittelpunkte deines Lebens so weit auseinanderliegen, ist eine Entscheidung für das Eine oder Andere wohl besonders schwer.

Das hat sich für mich im Lauf der Zeit relativiert. Heimweh nach Chile verspüre ich nicht mehr, aber ich fühle mich mit den Menschen dort noch immer verbunden. Es leben ja noch drei Brüder dort, einer ist Priester, einer hat die Solartechnologie ins Land gebracht und der dritte ist Chemiker. Hier in Österreich fühle ich mich nun mehr zuhause, ich verstehe mich aber in erster Linie als Weltbürger.

Die Suche Miguels nach Harmonie im Leben kommt besonders gut in seiner Skulptur „Togetherness“ (Abb. nebenan) zum Ausdruck.

Auf persönlicher Ebene wird es für Dich und Deine Frau wohl eine Freude sein, künstlerische Kreativität weitervererbt zu haben.

Meine Frau und ich haben beiden keinen Druck über die Gestaltung des Lebensweges unserer Kinder auferlegt. Sigrid ist auf einem guten Weg, den sie unbeirrt geht.

Bei Sigrids Liedern ist mir aufgefallen, wie vielschichtig und tiefschürfend sie sich mit der Region und seinen Menschen auseinandersetzt.

Sie wurde ja im Mostviertel geboren und hat von Anfang an vieles aufgeschnappt und es dann in ihren Liedern verarbeitet.

Anmerkung: 15jährig widmete Sigrid ihr erstes Lied Ken Saro Wiwa. Sie hatte seine Hinrichtung mitbekommen, als ihre Eltern darüber gesprochen hatten (siehe Portrait über Sigrid Horn in Augustin Nr. 467/Okt. 2018 unter dem Titel „Weil ma si olle söwa gspian“).

Zuletzt zeigt Sunshine ihr journalistisches Talent und stellt zwei Fragen, die ich schon längst stellen hätte können bzw. sogar müssen.

Miguel, eine Frage: Wie bist du dazu gekommen, Kunst zu machen?

Das ist eine sehr gute Frage. Als ich klein war, war mein ein Jahr älterer Bruder mein bester Freund und Spielgefährte. Er musste dann aber weg in ein Internat. So fühlte ich irgendwie alleingelassen. Aus Langeweile ging ich ins Atelier meines Vaters, der auch Bildhauer war. Er arbeitete gerade an einem Relief von einer jungen Frau. So was wollte ich auch probieren. Mein Vater gab mir dann die entsprechenden Materialien und Werkzeug. Als mein Bruder dann aus dem Internat nach Hause kam, konnte ich ihn auch gleich dafür begeistern. Er wurde später Chemiker, wo auch Kreativität auch gefragt ist.

Miguel, warum machst du so gerne Kunst?

Das Schöne dabei ist, dass ich mit meiner Kunst weit über die Sprache hinaus mit anderen Menschen kommunizieren kann. Das funktioniert immer, selbst wenn es mir schlecht geht oder ich keine Lust habe. Wenn Menschen meine Kunst sehen, gebe ich ihnen (auch in meiner Abwesenheit) die Möglichkeit sich davon inspirieren zu lassen. Ich arbeite außerdem mit sehr beständigen Materialien, so kann auch mit nachfolgenden Generationen kommunizieren, wenn ich schon längst tot bin.

Leben und Werk eines kosmopolitischen Künstlers

Miguel Horn wurde als sechstes Kind des Bildhauers Peter Horn und der Malerin Josefine Horn-Feja 1949 in Passau geboren und wuchs ab 1950 in Chile auf, wo sein Vater bereits vor dem Krieg eine Existenz in Osorno aufgebaut hatte. Wegen Heimwehs von Josefine kehrte die Familie ausgerechnet im Jahr 1939 heim, ohne zu ahnen, dass Hitler bereits Vorbereitungen für den Zweiten Weltkrieg getroffen hatte, Peter wurde umgehend eingezogen. Nach dem Krieg lebte die Familie vorerst in Passau, wo auch Miguel geboren wurde und dann im Innviertel, der Vater von Miguel versuchte mit vor allem mit Freskenmalerei ein Auslangen zu finden. In dieser Zeit war er auch mit dem Zeichner Alfred Kubin befreundet. Aber Anfang der 1950er Jahre kehrte die Familie wieder nach Chile zurück. Während seiner Lehrjahre bei seinem Vater absolvierte Miguel die Mittelschule und schloss diese 1966 mit der Reifeprüfung ab. 1969 starb sein Vater. 1982 heiratete er Ilse. Seine Kinder David, Katharina und Sigrid kamen 1983, 1987 und 1990 zur Welt. 1987 begann er eine Lehrtätigkeit in der Hauptschule Neuhofen an der Ybbs. 1991 unternahm er mit seiner Familie eine einjährige Reise nach Chile und in die Vereinigten Staaten von Amerika. Der Kosmopolit verbrachte Studien- und Arbeitsperioden in Italien, USA, Frankreich, Mexiko und Brasilien und seit 1981 hat er im Dachgeschoss seines Hauses in Neuhofen ein Atelier eingerichtet. Seine Werke waren in zahlreichen Einzelausstellungen unter anderem in Italien, Mexiko, USA, Frankreich, Brasilien, Kroatien und Österreich sowie anlässlich der Beteiligung an zahlreichen Gemeinschaftsausstellungen zu sehen.

Thematisch sind Horns Skulpturen zu Holz, Stein und Metall erstarrte Gedankengänge. Mit seinen Arbeiten nimmt er zu den negativen Auswirkungen unseres Wohlstands Stellung: Verlust der Individualität, Zurückdrängung indigener Völker, Zerstörung letzter Naturreservate, um nur einige zu nennen. Seine ersten Werke entstanden 1963. In dieser Zeit lernte er auch seinen großen Förderer kennen: Heribert Reitböck, emeritierter Professor für Physik, Angewandte Physik/Neurophysik/Gehirn-forschung an der Universität Marburg, der zahlreiche Werke Horns besitzt. Schon eine Auswahl von herausragenden Werke von Miguel Horn würde hier den Rahmen sprengen, ergo sei auf die Website www.miguel-horn.com und den Bildband von Leo Lugmayr: Miguel Horn: Mensch – Weltbürger – Künstler (Hg.: Peter Lisec Ges.m.b.H.) verwiesen.

Kurzer Abriss über die Ermordung Ken Saro-Wiwa und den Konflikt im Niger-Delta

Der nigerianische Bürgerrechtler, Schriftsteller und Fernsehproduzent Ken Saro-Wiwa (* 10. Oktober 1941 in Bori; † 10. November 1995 in Port Harcourt) gründete das Movement for the Survival of the Ogoni People (MOSOP). Am 31. Oktober 1995 wurde er in einem Schauprozess mit acht weiteren Bürgerrechtlern zum Tode verurteilt und zehn Tage später hingerichtet. Saro-Wiwa wurde während seiner Zeit in MOSOP mehrmals durch die nigerianische Militärregierung verhaftet und ohne einen Prozess oft monatelang festgehalten. Im Mai 1994 schließlich wurden er und acht weitere Mitglieder von MOSOP ein weiteres Mal verhaftet, diesmal mit der Begründung, sie hätten Anstiftung zum Mord begangen, infolgedessen vier Mitglieder der Stammesältesten der Ogoni den Tod fanden. Nach über einem Jahr Haft kam es zu einem spektakulären Schauprozess vor einem eigens einberufenen Tribunal. Der Prozess war dermaßen stark inszeniert, dass fast alle Verteidiger ihr Mandat aus Protest niederlegten, was zur Folge hatte, dass die Angeklagten sich selbst verteidigen mussten. Im Verlauf des Prozesses wurden von der Anklage Zeugen aufgerufen, die die Schuld der Angeklagten bestätigten. Später gaben viele dieser angeblichen Zeugen offen zu, von der nigerianischen Regierung bestochen worden zu sein. Die Verurteilung Saro-Wiwas und seiner acht Mitstreiter zum Tode wurde von Menschenrechtsorganisationen heftig kritisiert. Während seiner Haft wurden Saro-Wiwa der Right Livelihood Award (Alternativer Nobelpreis, 1994) sowie der Goldman Environmental Prize (1995) verliehen. Der Schauprozess erregte internationales Aufsehen, und kaum jemand rechnete damit, dass das Urteil unter den Augen der Weltöffentlichkeit tatsächlich vollstreckt werden würde. Dennoch wurden Saro-Wiwa und die acht übrigen Angeklagten am 10. November 1995 gehängt. Er wurde auf dem Port Harcourt Cemetery bestattet.

Marterl für Ken Saro Wiwa im Garten der Familie Horn

Die Hinrichtung der Angeklagten löste international heftige Proteste aus. Nigeria wurde mit sofortiger Wirkung aus dem Commonwealth of Nations ausgeschlossen (und 1999 wiederaufgenommen). Mehrere Länder zogen wirtschaftliche Sanktionen in Betracht.

„Ob ich lebe oder sterbe, ist unerheblich. Es reicht mir zu wissen, dass Menschen Zeit, Geld und Energie einsetzen, um gegen ein Übel unter vielen anzukämpfen. Wenn sie heute keinen Erfolg haben, so werden sie morgen erfolgreich sein. Wir müssen weiterkämpfen, damit die Erde ein besserer Ort für die Menschheit wird. Und jeder kann seinen Teil dazu beitragen.”

Ken Saro-Wiwa in einem Offenen Brief, der vor seiner Hinrichtung am 10.11.1995 aus dem Gefängnis geschmuggelt wurde. Foto unten: Miguel Horns Installation über die Zerstörung des Lebensraumes der Ogoni durch die Ölförderung

„Seit vierzehn Jahren leben wir in Erinnerung an unseren Vater, der für ein Verbrechen hingerichtet wurde, das er nicht begangen hat. Jeden Tag erinnert uns etwas daran. Es schmerzt in so einem ungeheuerlichen Unrecht zu leben. Es ist eine große Genugtuung, dass unser Fall vor Gericht kommt. Es macht einen krank, nach dem Unrecht an meinem Vater zu sehen, welche juristischen Argumente Shell mit seinen bestbezahlten Anwälten anführt. Ein Grund für den Protest war ja, die Art und Weise, wie Shell vorging: die Ogoni lebten ja vom Fischfang im Niger-Delta, aber Shell legte offene Deponien an und die Pipelines führten kreuz und quer über die Felder. Die Umweltverschmutzungen geschahen in einem empfindlichen Ökosystem und zerstörten die Lebensgrundlagen. Dafür war Shell verantwortlich, doch als die Menschen dagegen protestierten, wurden sie brutal unterdrückt.“

Saro Wiwas Sohn Ken Wiwa, zitiert von Nick Mathiason in Observer 5.4.2009, Übersetzung Alfred Brandhofer. Ken Wiwa lebte in Kanada und arbeitete als Journalist. Er schrieb die Biografie In the Shadow of a Saint. Ken Wiwa erlag im Oktober 2016 im Alter von 47 Jahren in London einem Schlaganfall.

Am 9. Juni 2009 verglich sich Royal-Dutch Shell außergerichtlich mit den Hinterbliebenen Ken Saro-Wiwas und der anderen acht Hingerichteten und zahlte 15,5 Millionen US$, um nicht vor einem US-Bezirksgericht wegen Menschenrechtsverletzungen angeklagt zu werden (Quelle: Wikipedia).

1) Im Nachhinein betrachtet ist so ein Ansporn alles andere als ein Ruhmesblatt, denn es stellt ja schließlich eine Herabwürdigung, Verunglimpfung der Mannschaften von Nachbarorten dar und trägt den Keim für mehr Intoleranz in sich, vor allem gegen Fremde im Allgemeinen. Da trifft dann auch die Rechtfertigung „Ein bisschen Spaß (und Schmäh) muss sein“ eher nicht ins Schwarze.

2) Der Name Ostarrichi tauchte erstmals in einer Urkunde des Jahres 996 auf: Kaiser Otto III. schenkte dem Bistum Freising einen Hof und etwa 1.000 Hektar Land bei Neuhofen an der Ybbs. Aus dem in der Schenkungsurkunde erwähnten „Ostarrichi“ entwickelte sich im Lauf der Zeit das heutige „Österreich“. Dies hat Neuhofen den Namen „Ostarrichi-Gemeinde“ und dem Bezirk Amstetten das Prädikat „Wiege Österreichs“ eingetragen. Für die Niederösterreichische Landesausstellung 1996 wurde die Gedenkstätte an der Moststraße in den Ostarrichi-Kulturhof umgebaut.

PS: Interview mit Sigrid Horn (Album-Standard, 4.1.2020) siehe: https://www.derstandard.at/story/2000112901870/saengerin-sigrid-horn-es-wird-vollgstopft-und-vollgstopft?

Bericht über die Situation in Chile (Standard-Album, 11.1.2020) siehe: https://apps.derstandard.at/privacywall/story/2000113145035/chile-der-kapitalismus-ohne-maske?ref=rss


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