Zufluchtsort Finca Sonador (Costa Rica)

Roland Spendlingwimmer: Ein Leben im globalen Kontext

 portrait roland1968, auf der Reise nach Paris, ins Zentrum der europäischen Revolution, lernte der Mühlviertler Student Roland Spendlingwimmer ein französisches Mädchen kennen, das ihn nicht nur in die „Stadt der Liebe“, sondern später auch durch sein weiteres Leben begleitete. All die neuen Eindrücke und Ideen bewogen Roland nach seiner Rückkehr nach Wien sich ganz alternativen Lebenskonzepten zu widmen und quasi „Berufsrevolutionär“ zu werden. Existenzängste waren ihm unbekannt, obwohl er in dieser Zeit schon eine Familie gründete – fünf seiner sechs Kinder sind in Europa geboren – und ohne weitere Unterstützung seiner Eltern auskommen musste. In der Gruppe „Spartakus“ wurde nicht nur das Leben in einer Kommune erprobt, sondern auch nach politischen Alternativen gesucht. Einer der führenden Köpfe, der nunmehrige Leiter von Asyl in Not, Michael Genner, erklärte dazu: „Je erfolgreicher wir gegen Nazis und Heime kämpften, je mehr wir unter der Arbeiterjugend Fuß fassten, um so verhasster waren wir unseren Feinden. Umso sicherer kam der Gegenschlag.“

 Mit 68er-Ideen in die Welt hinaus

Nicht zuletzt die zunehmenden Repressalien gegen Spartakus veranlassten Roland Spendlingwimmer in die Schweiz auszuwandern und sich der Organisation „Hydra“ anzuschließen, die u.a. 1972 den 1. Kongress für die Gründung von europäischen Pioniersiedlungen organisierte. Damit wurden vor allem junge Menschen animiert, sich wieder der Landwirtschaft zu widmen und „alternativ zu leben“. Schließlich konnte eine Gruppe Gleichgesinnter, der sich Roland anschloss, in Südfrankreich, in der Provence, ein 300 Hektar großes Areal erwerben und dort die Kooperative „Longo Mai“ (Langes Leben) aufbauen. Die linksorientierte Gruppe engagierte sich dort aber nicht nur in der Landwirtschaft, sondern setzte sich auch für Flüchtlinge, insbesondere für von faschistischen Diktaturen verfolgte Menschen, ein. Sehr zum Missfallen der französischen Regierung, welche die meisten ausländischen Longo Mai-Mitglieder, u. a. auch Roland, des Landes verwies. Diese gründeten darauf in anderen Bergregionen Europas Pioniersiedlungen. Über Zwischenstationen in den Schweizer Kantonen Graubünden und Appenzell bzw. in der Pfalz (Deutschland) kehrte Roland im Jahr 1978 mit seiner Familie zum österreichischen Ableger von Longo Mai nach Eisenkappel in Kärnten zurück.

Gestrandet an der „reichen Küste“

Schließlich verlegte er aber seine Tätigkeit nach Costa Rica, um dort mit Hilfe des UNHCR eine Heimstätte für Flüchtlinge aus Nicaragua aufzubauen: die „Finca Sonador“. Von Anfang an wurde ein revolutionäres Konzept verfolgt: die Flüchtlinge sollten nicht wie üblich in einem provisorischen Lager in Anhängigkeit von Lebensmittelhilfe leben, sondern sich selbst Häuser bauen und von der Landwirtschaft leben. Nach dem Sieg der Sandinisten in Nicaragua konnten viele Flüchtlinge in ihr Heimatland zurückkehren; zu einem längerfristigen Rückgang führte dies aber nicht, da wegen des fast zur selben Zeit ausgebrochenen Befreiungskampfes in El Salvador 1981-82 viele Flüchtlingsfamilien den Platz der Nicaraguaner einnahmen. Außerdem siedelten sich landlose, costaricanische Bauernfamilien an (darunter auch indigene Bribri und Cabecar) sowie einige wenige Europäer an.

Heute ist die Dorfbevölkerung mehrheitlich salvadorianischen Ursprungs. 80 Familien, insgesamt 500 Menschen, leben durchschnittlich auf der Finca, es gibt dort auch eine Grundschule und ein Gemeinschaftshaus. Die einzelnen Familien bebauen das ihnen zur Verfügung gestellte Land und können sich so ihren Lebensunterhalt vor allem durch den Verkauf von Kaffee, Zuckerrohr und Einkünften aus der Viehwirtschaft und teilweise auch Fischzucht selbst verdienen.

Regenwälderisches Know-How

roland-dschungelViele bringen einen reichen Erfahrungsschatz über die tropische Landwirtschaft mit. Roland (als Verwalter) und seine MitstreiterInnen haben da viel gelernt, vor allem wie das subtropisch-feuchte Klima (mit acht Monaten Regenzeit) für jährlich zwei gute Ernten genützt werden kann und dies ohne Kunstdünger, der dort ohnehin nicht verfügbar ist. Die nicht nutzbaren Pflanzen („Unkraut“) werden mit der Machete abgehackt, sie verrotten auf Grund der hohen Luftfeuchtigkeit sehr schnell und düngen dann die Nutzpflanzen. So kann der Nachteil der für die Regenwaldgebiete typischen dünnen Humusschicht wieder ausgeglichen werden. Ohne jeden Zwang oder „Missionsgehabe“ wird hier dynamisch-biologische Landwirtschaft praktiziert. Die wirtschaftlichen Konzepte werden im Konsens erarbeitet und umgesetzt und Roland ist immer wieder überrascht, wie viel er von den großteils mestitzischen Flüchtlingen und Indigenas lernt. Die Landwirtschaft betrachtet er außerdem als Ruhepol bzw. Ausgleich für die sozialen und menschenrechtlichen Aspekte. Roland unterstützt bereits seit Jahren indigene Gemeinschaften bei ihrem Kampf für mehr Selbstbestimmung, so vor allem die Teribes bei ihrem Widerstand gegen ein großes Staudammprojekt, das für diese Ethnie große Landverluste verursachen und negative Auswirkungen auf das ökologische Gleichgewicht haben würde. Regelmäßig werden auch regionale Kongresse abgehalten, vor allem über die Gefährdung der Umwelt. Monokulturen (vor allem Ananas) verursachen in weiten Teilen Costa Ricas schwere Schäden, u.a. weil die dort verwendeten Chemikalien in den Wasserkreislauf gelangen, und die Fischbestände dezimieren, und immer mehr (Regen)-Waldgebiete den Anbauflächen weichen müssen.

 Mit Akrobatik dem Elend entrinnen

Circus-Roland1In der von der Finca Sonador am nächsten gelegenen größeren Stadt San Isidro, wo es wie meist überall in den südlichen Ländern große Armut und soziale Not gibt, engagierte sich die Familie Spendlingwimmer für die Straßenkinder: neben Ausspeisungen und Weiterbildungskursen wurde auch ein Kinder- und Jugendzirkus ins Leben gerufen, der sich auf Grund des hohen Könnens nicht nur national großer Beliebtheit erfreut, sondern mittlerweile auch mehrmals auf Tournee in Europa war, u.a. auch in Österreich. Roland Spendlingwimmer lässt sich von der Energie erfüllen, die die Kinder entwickeln: „Der Circo Fantazztico“ ist für viele Kinder ein Ausweg, um durch Training, Talent und harte Arbeit Fähigkeiten zu entwickeln, von denen sie unter Umständen später leben können.“ Den Kontakt zu seiner Heimat hat Roland nie verloren, regelmäßig kommt er auf Besuch, um alte Freundschaften wieder aufzufrischen oder Vorträge zu halten.

 Das Tourismuskonzept der Finca Longo Mai richtet sich vor allem an junge Menschen, die am Leben einer Finca-Sonadorcostaricanischen oder salvadorianischen Familie teilhaben und ihre eigenen Projekte durchführen wollen. Zu den Gästen zählen Abiturienten/Maturanten, die vor dem Studium ein Jahr im Ausland leben möchten, Studenten, die ihre Semesterferien in Costa Rica verbringen oder ihre Abschlussarbeit schreiben, junge Sozialarbeiter, Zivildienstleistende, Familien mit Kindern, aber auch ältere Menschen, die der Wunsch nach einer Auszeit ins grüne, ruhige Longo Mai führt. Die günstigen Preise sollen vor allem jungen Besuchern einen Langzeitaufenthalt ermöglichen. Im Jahr 2004 wurde das Konzept des sozialverträglichen Tourismus auf Basis von interkulturellem Austausch mit dem To-Do-Award* des deutschen „Studienkreises für Tourismus und Entwicklung“ ausgezeichnet.

Lebenslängliche Suche nach alternativen Lebenskonzepten

Roland Spendlingwimmer fasst seine Philosophie so in Worte: „Einerseits zieht sich durch mein Leben ein beständiger roter Faden, der auf der Liebe zur Natur, zur Landwirtschaft beruht. Die Entscheidung zum Studium der Bodenkultur war ein erster logischer Schritt in diese Richtung. Die späteren Aufgaben der landwirtschaftlichen Planung und des Aufbaus der Longo Mai Kooperativen ermöglichten mir einen faszinierenden und vielfältigen Lern- und Beschäftigungsbereich, der in der Folge durch die Erfahrungen in der tropischen Landwirtschaft in Costa Rica noch zusätzlich an Reiz gewann. Andererseits denke ich, dass in jedem Menschen die Anlage für revolutionäre Veränderung, im Sinne von Suche nach Wahrheit und sozialer Gerechtigkeit vorhanden ist. Die revolutionären Ereignisse des Mai 1968 haben ohne Zweifel mein Leben entscheidend geprägt. Versuche, jugendliche Randgruppen, Heiminsassen, Strassenkinder, von der Gesellschaft Ausgeschlossene in ihrem Kampf um Chancengleichheit, Anerkennung und ein würdiges Leben zu unterstützen, ziehen sich seit meiner Studienzeit in Wien durch mein Leben. Vom selbstverwalteten Heim Heliopolis zur Zeit von Spartakus in Wien, bis zum Kinder- und Jugendzirkus Fantazztico von Costa Rica war dieses soziale Engagement stets präsent und begleitet von der Suche nach alternativer Praxis.

In der Entwicklungszusammenarbeit haben mich meine Erfahrungen zu der Überzeugung gebracht, dass die erste Voraussetzung für einen sinnvollen Einsatz in den Ländern des Südens das Ablegen jedes Eurozentrismus ist. Wir haben von diesen Ländern ungleich viel mehr zu lernen, als wir ihnen von unserer „Kultur“ des unbeschränkten Konsums, des Individualismus und der langen Kolonialgeschichte Europas sinnvollerweise mitgeben könnten. Multikulturelle Projekte wie Longo Mai durchbrechen diese bedenklichen „weißen“ Konzepte des „Helfens“, die über so viele Jahre in der Entwicklungshilfe vorherrschend waren“.

Weitere Infos:

Infos: www.sonador.info, Spendenkonto: BLZ: 20320, Sparkasse Oberösterreich, BIC: ASPKAT2L,
IBAN: AT 56 203 2016300000913

* Auszug aus der Begründung für die Preisverleihung von Dr. Christian Adler: „Der Projekttourismus, wie er auf der „Finca Sonador“ realisiert wurde, ist ein anschauliches Beispiel für authentische, interkulturell angelegte Begegnungen. Wer in diesem Dorf verweilt, bleibt nicht der außenstehende Betrachter, sondern erhält die Gelegenheit, eine fremde Lebensart von innen heraus zu erfahren. Die Gäste werden vollständig eingebunden in das Leben der Dorfbewohner, sie nehmen an deren Alltag teil und leisten während ihrer Präsenz einen aktiven Beitrag zur Dorfentwicklung. Infolge mehrmonatiger Aufenthalte entstehen Freundschaften mit den Einheimischen, persönliche Bindungen zu den Gastfamilien, die auch nach dem Ablauf der Reise fortdauern.“


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